Leben und sterben im Dschungel von Tanna

Leben und sterben im Dschungel von Tanna

Tanna ist einer der letzten unberührten Flecken dieser globalisierten Welt. Lest wie Alex die Einheimischen, das besondere Esen und die komplette Abhängigkeit vom Dschungel erlebt hat.

28.03.2020 Im Dschungel von Tanna

Ich laufe barfuß durch den warmen Regen, meine Füße setzen sanft auf der schwarzen Erde auf, die aus umgewandelter Vulkanasche besteht. An den Banyan Bäume bleibe ich kurz stehen. Diese jahrhundertealten Giganten vermehren sich über Luftwurzeln, die von der Baumkrone bis zum Boden reichen. Ich komme an der Palmenplantage an. Hier häufen sich Palmenblätter am Boden, die zum Bau von Hütten miteinander verwoben werden.

30m von mir entfernt steht der Baum, in dessen Spalte das Bienenvolk wohnt. Ich erinnere mich noch genau an den Geschmack der in Honig eingelegten Kokosnusstücke, die wir nach der gemeinsamen Honigernte genossen haben, und an die Made, die wir danach in der Glut gegrillt haben. Damals hat mir Jackson auch gezeigt, wie man eine Kokosnuss mit einer Machete schält, ohne sich dabei die Finger abzuhacken. Die Ernährung hier ist sehr regional, einzig Reis wird aus dem benachbarten Neukaledonien importiert. Von Süßkartoffeln über Bananen, Papayas und Cassava wird alles mitten im Dschungel angebaut, große Rodungen sucht man hier vergeblich. Ab und zu fangen die Männer des Dorfes ein Tier des Waldes. Tieffliegende Fledermäuse werden an einer Hügelkuppe oberhalb des Bienenbaumes aus der Luft geschlagen, Vögel mit dicken Pfeilen betäubt. Wildschweine erwischen sie eher selten. An Felix´ Geburtstag kaufen wir dem benachbarten Dorf ein Schwein ab. Der Dorfälteste tötet es gemäß der Tradition mit drei Schlägen auf den Kopf und wir schauen der routinierten Zubereitung zu. Nach dem Ausnehmen und Wegbrennen des Fells wird es auf einem Stock über dem Feuer durchgebraten. Das anschließende Festmahl ist ein besonderes Happening mit Ansprachen, vergleichbar mit unserem Feiertagsbraten.

Ich hole den 15m langen Stab, der an einer Palme lehnt, und mache mich an die Arbeit. Mit ein paar frischen Kokosnüssen unterm Arm mache ich mich kurze Zeit später auf den Rückweg zum Dorf der Familie Iakapas, bei der wir aufgrund der Ungewissheit unserer Rückreise auf unbestimmte Zeit wohnen dürfen. Auf meinem Gesicht landet frische Asche, der Vulkan ist ja nur einen Kilometer weit weg und das Grollen, das man in unregelmäßigen Abständen hört, lässt dich nie vergessen, dass er dort oben thront. Der den Einheimischen heilige Yasur bringt durch seine mineralienhaltige Asche zwar sehr fruchtbaren Böden, aber gleichzeitig auch Zerstörung. Zwei Wochen vor unserer Ankunft hat der vorherrschende Westwind auf Ost gedreht und die giftigen Schwefeldämpfe haben die gesamte Ernte unseres Dorfes zerstört. Zum Glück helfen uns befreundete Stämme mit dem Nötigsten aus; dieser Zusammenhalt ist gerade in diesen Zeiten überlebenswichtig, da durch den ausgerufenen Notstand wochenlang kein Warennachschub auf diese gerade mal 20 auf 30 Kilometer großen Insel kommt. Etwas mehr als 20.000 Menschen wohnen auf Tanna, die allermeisten davon leben sehr einfach. Auch für uns gilt: Geschlafen wird in einfachen und nicht immer regendichten Holzhütten, Trinkwasser fließt nur etwa einmal die Woche, Strom gibt es nur, wenn wir den Generator anmachen, um die Kameras zu laden und die Aufnahmen vom Tag zu überspielen. Die Fußbälle, mit der die Dorfjugend sich vergnügt, sind aus dem gummiartigen Holz eines Baumstamms geschnitzt. Wir spielen auf einer Rodeoline zwischen zwei Palmen und installieren den Einheimischen nach dem Projekt ein paar normale Slacklines.

Sind jetzt seit einer Woche hier, inzwischen fühle ich mich an diesem Ort an- und zur Ruhe gekommen. Es ist ein Platz der Entschleunigung und der Freiheit, wir waren frei von dem Trubel und der Reizüberflutung des heimischen Alltags, auch die in der Hauptstadt durchgesetzte Ausgangssperre war weit entfernt von unserem geruhsamen Dschungelleben. Hier herrscht Tanna-Time, keiner der Einheimischen macht sich je Stress beim Loskommen, die meisten hatten ohnehin weder Uhr noch Handy. Unstimmigkeiten durften nicht stehen gelassen, sondern mussten offen besprochen und ausdiskutiert werden. Immer mit dem Ziel, die Lebensfreude und das Lachen auf den Gesichtern wiederherzustellen, das normal überall zu sehen war. Das naturverbundene Leben abseits von Geldsorgen und der starke Familien- und Stammeszusammenhalt sind sicher Gründe für dieses Glücklichsein.

Mit 20 Regentagen im Monat und einer Durchschnittstemperatur von 25°C ist das Klima typisch tropisch. Durch die warme und feuchte Umgebung fangen sogar unsere Kleidung und Rucksäcke an zu schimmeln. Dieses Schimmel-Problem sollte im Angesicht des heraufziehenden Zyklons Harold in den Hintergrund treten. Bei angekündigten 250 km/h werden wir in den Zyklon-Bunker der Schule fliehen müssen. Zu unserem großen Glück schwenkt Harold jedoch kurzfristig nach Osten um und verwüstet stattdessen die nördlicher gelegenen Inseln.

Trotz des vielen Regens unternehmen wir relativ viel. Tagsüber begleite ich meinen Vater oft auf Wanderungen. Der omnipräsente Yasur formt die Landschaft hier: In 30 Minuten Fußmarsch Entfernung liegt am Fuß des Vulkans das zehn Quadratkilometer große Aschefeld, in dem ein Fluss spektakuläre Miniatur-Canyons herausgeschliffen hat. Zwei Kilometer weiter mündet er am Sulfur Bay ins Meer. Der Name rührt von den brühend heißen Schwefelquellen her, die sich 100 Meter vor der Mündung mit dem Flusswasser mischen und angenehmes Badewannen-Feeling in Sichtweite des Yasur ermöglichen.

Wenn wir nicht gerade zum Vulkan hoch sind, ist das Highlight jeden Tages, nach dem Abendessen die Stufen zum Baumhaus hochzusteigen und von dort das orange-rote Glühen zu beobachten und den Explosionen zu lauschen.

Das nächtliche Glühen vom Baumhaus aus.

Fazit:

All diese prägenden Eindrücke und Erlebnisse der fünf Wochen im Dschungel haben wir tief in uns gespeichert und mit nach Hause genommen. Uns wurde wieder einmal bewusst, wie unglaublich glücklich wir uns schätzen dürfen. Seit wir wieder zurück sind, nehmen wir den Luxus, der uns hierzulande umgibt, bewusster war und schätzen ihn mehr wert.
Zu schnell fällt man in ungesunde Muster zurück - aber wir können uns zurückerinnern und bewusstere Entscheidungen treffen: z.B. will ich mein Leben vereinfachen und der so wichtigen Menschlichkeit mehr Raum geben.

Ich hoffe, dass Vanuatu für immer oder zumindest so lange Corona-frei bleibt, bis es einen Impfstoff gibt. Aber ich bin optimistisch, da sie es bis heute geschafft haben!

Jackson, der Familie Iakapas, Phillip und den restlichen Dorfbewohnern will ich von ganzem Herzen danken, wir werden nie vergessen, was ihr für uns getan habt!
Vielen Dank auch an unsere Sponsoren und Partner, ohne die LavaLine nicht umgesetzt werden hätte können: Casio, Blackmagic Design, EVOC, Stubai Bergsport, Balance Community, Quadratkollektiv, Cooke Optics, Lacie, Ledlenser, Fujifilm, DJI, Michael Radeck - flyingshots, Bebob, Archiware
Besonderer Dank gebührt meiner Mutter Margit für den unendlichen Rückhalt, sowie Johannes, Marinus, Felix, Rafael und vor Allem meinem Vater Raimon für das gemeinsame Erlebnis LavaLine!


Wir berichten in sechs Teilen über unsere Erlebnisse. Der nächste Blog-Eintrag erscheint am 01.06.2020 auf der LavaLine-Projektseite.

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